Hessen braucht echte Klimaneutralität beim Luftverkehr

Der Frankfurter Flughafen ist Hessens größter Arbeitgeber, aber auch Luftverschmutzer. Aufgrund von Fluglärm und CO₂- und Feinstaub-Emissionen ist er seit Jahrzehnten umstritten. Die Corona-Krise zeigt, wie eine Welt mit weniger Luftfahrt aussehen könne. Es wird Zeit, über eine echte Klimaneutralität und damit generationengerechte Transformation der Branche und des ganzen Rhein-Main-Gebiets nachzudenken – das sind wir Hessen der Welt schuldig.

Hessen erzeugt laut CO₂-Quellen-Bilanz pro Kopf ein Drittel weniger Kohlendioxid als der Bundesdurchschnitt [1]. Dies liegt aber lediglich daran, dass Hessen ein Netto-Energie-Importeur ist. Außerdem wurde mit der Begründung des besseren Ländervergleichs der internationale Luftverkehr herausgerechnet. Bei näherer Betrachtung stellt man hingegen fest, dass der Frankfurter Flughafen mit über einem Viertel der hessischen CO₂-Emissionen eine wahre Dreckschleuder ist [2]. Der dort abgewickelte nationale und internationale Luftverkehr sorgt für 14,2 Millionen Tonnen CO₂ und entspricht 28,4% der gesamthessischen Emissionen [3] [4] [5]. Zum Vergleich: Diese Emissionen der hessichen Luftfahrt entsprechen denen von fast ganz Thüringen (15,6 Mio. T CO₂) [2]. Schaut man sich die CO₂-Verursacher-Bilanz auf diese Weise an, steht Hessen nicht mehr so gut da [2].

Fliegen als schnellste Fortbewegungsmethode ist aber aus der heutigen Zivilisation nicht mehr wegzudenken. Ohne Fliegen wäre so manches nicht mehr möglich. Selbst wenn alle die Vision einer nachhaltigen Lebensgestaltung teilen würden und zu entsprechendem Verzicht bereit wären, den „Traum vom Fliegen“ wird die Menschheit so schnell nicht aufgeben. Wie geht es also weiter?

Die Flughafen-Betreibergesellschaft arbeitet an Verbesserungen. Diese sind jedoch bei Weitem nicht ausreichend. Eine nennt sich „Sustainable Aviation Fuel“: Es handelt dabei sich um einen zertifizierten Brennstoff mit verbesserter CO₂-Bilanz, der eine bessere „Nachhaltigkeit“ aufweist – bezüglich Umwelt- und Sozialverträglichkeit, sowie wirtschaftlicher Aspekte [6]. Er wird meist aus Biomasse hergestellt. Eine weitere Verbesserung, die auch verlockend klingt, nennt sich „Power-To-Liquid“ (P2L): Verschiedene Herstellungsverfahren, die flüssige Kraftstoffe mit ebenfalls verbesserter CO₂-Bilanz produzieren, z.B. aus Ökostrom [7] [8].

Eine CO2-Neutralität des Treibstoffs wäre ein großer Fortschritt, aber die klimaschädliche Wirkung von „Non-CO₂-Effekten“ wie etwa Kondensstreifen, künstliche Zirruswolken, sowie die Ozonbildung durch Fliegen in großer Höhe, wird weiterhin nicht berücksichtigt. Die Klimawirkung dieser Effekte ist laut einer Studie des Umweltbundesamtes etwa 3-5 mal höher als die reinen CO₂-Emissionen der Flugzeuge [9]. Es ist also noch ein weiter Weg zu einem klimaneutralen Luftverkehr [10].

Die Luftfahrt hat in ihrer Geschichte wie kaum eine andere Industrie den „Deponieraum Atmosphäre“ überstrapaziert. Die oft sehr langfristigen Folgen tragen vor allem die jüngeren Generationen. Das macht die Luftfahrt zu einer der „generationsungerechtesten“ Branchen überhaupt. Zugleich ist sie aber auch ein Wirtschaftsmotor, und der Frankfurter Flughafen ist laut FraPort die „größte lokale Arbeitsstätte Deutschlands“, was sich auch in bedeutenden Steuereinnahmen für Hessens Staatshaushalt wiederspiegelt [11]. Ob diese Einnahmen den angerichteten Schaden finanziell ausgleichen, ist eine noch zu beantwortende Frage. Ganz zu schweigen von den monetär nicht fassbaren, gesundheitlichen Folgen.

Das Bundesland Hessen trägt daher eine besondere Verantwortung, die Luftfahrt generationengerecht zu revolutionieren. Ziel muss eine echte Klimaneutralität sein, welche die „Non-CO₂-Effekte“ berücksichtigt. Bis dahin muss konsequent jegliche Verbesserung zur Klimaschonung umgesetzt werden.

Um diesen enormen Kraftakt in der Forschung und Ingenieurskunst zu stemmen, muss investiert werden. Eine echte generationsgerechte, ökologische Transformation und ein zukunftsorientierter Strukturwandel der Rhein-Main-Region wäre sogar ein Standortvorteil: Der klimaneutralste Flughafen der Welt. Um die dafür nötige Forschung anteilig gegenzufinanzieren, braucht es eine Energie-/Kerosin-, CO₂- und Non-CO₂-Effektesteuer, sowie weitere geeignete Steuer(ungs)anreize, wie eine landesweite Sonder-Gewerbesteuer für Luftfahrtunternehmen. Nicht zuletzt um die Umgehung der Steuer durch „Outsourcing“ zu vermeiden, müssen auch deren Zulieferer und Dienstleister einbezogen werden. Damit wären all jene, die über Jahrzehnte durch kostenexternalisierende ökologische Kredite ihre finanziellen Gewinne erwirtschaftet haben, nun in der Pflicht, ihre Branche zukünftsfähig zu machen.

Die PIRATEN haben zum Grundsatz, dass Freiheit in Verantwortung und Gerechtigkeit untrennbar mit der Nachhaltigkeit verbunden ist [12]. Daher muss die nachhaltige und generationengerechte Nutzung der Ressource „Deponieraum Atmosphäre“ ein auf Dauer angelegter, verantwortungsvoller Umgang sein. Die Entwicklung einer klimaneutralen Luftfahrt in Hessen sehe ich daher als eine Schlüssel-Position des Landesverbands der Piratenpartei an und möchte diese Forderung gerne durch einen Landesparteitag in das neue Hessen-Programm aufnehmen lassen. 


Quellen:
[1] https://www.hlnug.de/fileadmin/dokumente/klima/monitor/treibhausgasbilanz_2015.pdf
[2] https://www.lak-energiebilanzen.de/ergebnisse-des-datenabrufs/?a=c500&j=2017&l=1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16&
v=anm,insgesamt,agg_steinkohle,agg_braunkohle,agg_minoele,agg_gase,andere_abfaelle,andere_andere_co,Stand
v=anm,insgesamt,agg_steinkohle,agg_braunkohle,agg_minoele,agg_gase,andere_abfaelle,andere_andere_co,Stand
[3] https://umwelt.hessen.de/sites/default/files/media/hmuelv/co2-bericht_2017_final_august_2019.pdf
[4] https://www.lak-energiebilanzen.de/ergebnisse-des-datenabrufs/?a=c550&j=2017&l=1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16&v=anm,insgesamt,agg_steinkohle,agg_braunkohle,agg_minoele,agg_gase,andere_abfaelle,andere_andere_co,Stand
[5] https://www.lak-energiebilanzen.de/ergebnisse-des-datenabrufs/?a=c600&j=2017&l=1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16&v=anm,insgesamt,agg_vg,agg_verkehr_insgesamt,agg_verkehr_schiene,agg_verkehr_strasse,agg_verkehr_luft,agg_verkehr_wasser,agg_hghd,Stand
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Sustainable_aviation_fuel
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Power-to-Liquid
[8] https://www.dvz.de/rubriken/luft/detail/news/luftfracht-muss-gruener-werden.html
[9] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschonender-luftverkehr
[10] https://www.theguardian.com/world/2020/may/27/worlds-largest-all-electric-aircraft-set-for-first-flight
[11] https://www.fr.de/frankfurt/michael-mueller-per38895/streit-job-motor-11105391.html
[12] https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Pr.C3.A4ambel


Dieser Beitrag wurde verfasst von Aljoscha Kreß.
Foto: NASA