Frankfurter lokale Jobcenter setzen sich über Regeln der Bundesagentur für Arbeit hinweg
Der Staat will den Gläsernen Bürger schaffen! Nicht nur gibt es auf Landes-, Bundes- und EU-Ebenen ständig Gesetzesänderungen, neue Verordnungen und Vorschläge, die den Behörden Schnüffelei, Trojaner, Datenspeicherung, -zusammenführung und -analysen erlauben. Darüber hinaus finden auch immer wieder Rechtsüberschreitungen statt! So ist kürzlich festgestellt worden, dass die jahrelange Speicherung von Autokennzeichen in Brandenburg illegal war. Die Piratenpartei geht mit einer Verfassungsbeschwerde dagegen vor, siehe: https://www.piratenpartei.de/2019/08/06/vorratsspeicherung-aller-autofahrten-in-brandenburg-piratenpartei-erhebt-verfassungsbeschwerde/. Die Aktivisten von netzpolitik.org haben inzwischen hierzu ein Gutachten des Innenministeriums und weitere Dokumente veröffentlicht: https://netzpolitik.org/2019/kennzeichen-scanner-wir-veroeffentlichen-das-gutachten-das-ein-ende-der-auto-vorratsdatenspeicherung-fordert/#spendenleiste. Dieses sagt, dass die Praxis der Auto-Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig und illegal ist.
Aber auch in Hessen gibt es Vorfälle, die betrachtet werden müssen. Ein aktuelles Beispiel sind Regeln in den Jobcentern Frankfurt Nord und Ost: Diese verlangen seit neuestem in einem öffentlichen Aushang von ihren Kunden, Kontoauszüge bei Weiterbewilligungsanträgen grundsätzlich immer vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, Anträge ohne Vorlage werden nicht bearbeitet. Die Datenschützer Rhein-Main haben hierzu eine informative Stellungnahme und ein Foto eines Aushangs im Jobcenter veröffentlicht: https://ddrm.de/erwerbslose-protestieren-gegen-ausufernde-schnueffelpraxis-des-jobcenters-frankfurt/
Nun ist es so, dass das Jobcenter den Bedarf der Kunden ermitteln muss und dafür Unterlagen verlangt. Es stehen ihm also Auskunft über Vermögen und Einkommen zu. Die DSGVO sieht vor, dass es für jede Datenerhebung eine Rechtsgrundlage geben muss. Diese ist auch gegeben, allerdings nur für die Ermittlung der Bedürftigkeit. Die DSGVO sieht ebenfalls vor, dass nur genau jene Daten erhoben werden dürfen, die für diesen Zweck gebraucht werden, und darüber hinaus aber keine, die nicht für die behördlichen Vorgänge notwendig sind. Um das mal konkret auf Kontoauszüge anzuwenden: Kontostand, Eingänge und Ausgänge müssen einsehbar sein, nicht jedoch immer, wofür die Ausgabe entstanden ist. Die Betroffenen haben das Recht, Informationen schwärzen. Dies sehen die Datenschützer Rhein-Main so und aktuell auch der Bundesdatenschutzbeauftragte: https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Fragen_Antworten/FAQ_Arbeit_Grundsicherung/Arbeit_Grundsicherung_table.html Die neue Regelung des Jobcenters steht ihrer Auffassung nach im Widerspruch zur DSGVO.
Auch die Bundesagentur für Arbeit sieht das so und erläutert in einem Merkblatt zum Bezug von Arbeitslosengeld II: “Sie haben die Möglichkeit, Empfänger und Verwendungszweck von Soll-Buchungen, die keinen Bezug zu Ihrer SGB II-Leistung haben, auf den Kopien Ihrer Kontoauszüge zu schwärzen…” (https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/Merkblatt-ALGII_ba015397.pdf, S. 75)
Und auch wir PIRATEN sehen das so! Datenschutz und Privatsphäre sind eines unserer zentralen politischen Anliegen! Ob zum Beispiel € 26,95 ausgeben wurden, muss das Jobcenter erfahren. Ob das aber im Supermarkt, im Buchladen oder im Sexshop passiert ist, geht es nichts an.
Vor Jahren urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in einigen Fällen (Az.: B 14 AS 45/07 R vom 19.09.2008; Az.: B 4 AS 10/08 R E vom 19.02.2009), dass Kontoauszüge ohne Angaben von Gründen, nach Aufforderung des Jobcenters offen gelegt werden müssen und zwar bei Erst- und Weiterbewilligungsanträgen und Anträgen auf einmalige Leistungen.
Geschwärzt werden durfte gemäß dieses damaligen Urteiles von 2008 ausschließlich bei Buchungstexten mit zu Grunde liegenden Inhalten wie „rassischer und ethnischer Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit oder Sexualleben“. Inzwischen ist das Datenschutzrecht reformiert worden. Dadurch ist dieses Urteil von der DSGVO überholt worden, denn nun gilt das Prinzip der “Datensparsamkeit” (Art. 5 – EU-DSGVO). Entsprechend wurde auch das Bundessozialgesetz angepasst (§ 78 b SGB X, Änderung vom 18.12.2018, “Prinzip der Datenvermeidung und Datensparsamkeit”). Es besagt, dass ohne konkreten Antrag oder Anlass die Vorlage der Kontoauszüge nicht gefordert werden darf, ebenso wenig, wenn der Sachverhalt mit weniger Aufwand geklärt werden könnte. Darüber kann sich ein lokales Jobcenter nicht hinwegsetzen.
Das Verlangen, ungeschwärzte Kontoauszüge vorzulegen und dieses Recht damit zu unterlaufen, muss also so nicht hingenommen werden.
Betroffenen wird deswegen empfohlen, sich an den Datenschutzbeauftragen des Jobcenters zu wenden, und wenn sie dort nicht weiterkommen, an die vorgesetzte Aufsichtsbehörde. Da es nicht unbedingt immer einfach ist, sein Recht zu kennen und zu bekommen, ist das Einschalten eines Fachanwaltes zu überdenken, hier ist zu empfehlen, das gemeinsam mit anderen Betroffenen zu tun.
Denn sie werden nicht die Einzigen sein mit diesem Anliegen. Auch das Bündnis „AufRecht bestehen“, ein Zusammenschluss aus verschiedenen Erwerbslosengruppen und –initiativen, hat einen Beschwerdebrief an das Jobcenter geschrieben, nachzulesen hier: https://ddrm.de/wp-content/uploads/AufRecht-bestehen-_-Anschreiben-2-anonymisiert.pdf. Beschwerden beim Datenschutzbeauftragten sind auch schon eingegangen. Und weitere Stellungnahmen, u.a. aus gewerkschafterlicher Sicht, sind zu erwarten.
Beitragsbild: Annette Schaper-Herget
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